Vom Händler zum Identitätsmanager
- 18.06.2014
- Top-Themen
- red.
„Ladenflächen im Premium-Bereich gewinnen an Bedeutung“ das ist die eine wesentliche Kernaussage, die andere lautet: „Der herkömmliche Standardshop wird Schritt für Schritt verschwinden“. In der aktuellen Studie zur Zukunft des stationären Handels werden dazu zwei Hauptstrategien benannt: Im Economy-Segment empfehlen die Trendforscher die weitgehende Verschmelzung des stationären Ladens mit digitalen Geräten und den Logiken des E-Commerce. Die zentrale Rolle dabei spielt das mit eigenen intelligenten Angeboten zu besetzende Handydisplay der Kunden. Zudem könne der stationäre Handel mit digitaler Technologie neue, lukrative, aber bislang unbesetzte Verkaufsorte erschließen: „Es reicht hier nicht aus, parallel zum Ladengeschäft einen separaten Onlinehandel zu eröffnen. Vielmehr geht es um eine wirklich intelligente Verschmelzung von stationärem und mobilen Handel“, erkläutert Sven Gábor Jánszky. Den Anfang machten in diesem Bereich die Vergleichsportale, gefolgt von reinen Online-Händlern. Nach wie vor basieren diese Geschäftskonzepte auf der aktiven Suche der Kunden sowie auf der Basis eines wenig „intelligenten“ Preisvergleichs.
Adaptive Angebote
Nach Einschätzung der Zukunftsforscher werden in den kommenden Jahren die Technologien der Smarten Prognostik in die Verkaufsprozesse Einzug halten. Das bedeutet, dass zunehmend intelligente digitale Assistenzsysteme genutzt werden. Diese können mobil, beispielsweise auf Handys oder Displays, zum Einsatz kommen. Durch die Auswertung von verschiedensten, auch situativen Daten könnten die Angebote jeweils direkt und individuell auf die unmittelbaren Bedürfnisse des Kunden angepasst werden. Möglich wird damit ein „intelligentes Touchpoint-Management“, das die unterschiedlichen Daten, die durch verschiedene mobile Geräte zusammengetragen werden, verbindet, auswertet und die für das passende Angebot relevanten Informationen liefert. „In der Konsequenz werden Verkaufsprozesse aber auch Produkte und Dienstleistungen adaptiv werden, um bestmöglich in die jeweilige Nutzungssituation des Kunden zu passen“, ist das Team von 2b ahead überzeugt. „Das Economy-Segment 2020 wird bestimmt durch intelligente Handys, passive Kunden und adaptive Angebote“.
Ereignisorte schaffen
Das Premium-Segment wird sich davon signifikant unterscheiden. Hier wollen Kunden nicht das schnellste, kostengünstigste und rationalste Kaufergebnis. Stattdessen möchten sie durch den Verkaufsort und die gekauften Produkte ihre Identität ausdrücken. Dafür schalten sie auch bewusst die „Intelligenz der Algorithmen“ aus. Entsprechend empfehlen die Forscher für das Premium-Segment eine Strategie des „Identitätsmanagements“. Filialen sollten konsequent zu Ereignisorten werden. Dies bedeute aber nicht permanente Party und Konzerte, sondern das Schaffen eines Ortes, mit dem die Kunden ihrem eigenen Ego sowie ihren Communities beweisen könnten, dass sie zu einer bestimmten Identität zugehörig sind. Handelsmarken sollten in dieser Strategie zu Coaches werden und Verkäufer zu Identitätsmanagern.
Nachgefragt ...
... bei Sven Gábor Jánszky, Trendforscher und wissenschaftlicher Direktor des Forschungsinstituts 2b ahead ThinkTank
Herr Jánszky, 2014 ist die neue Trendstudie „Die Zukunft des stationären Handels“ erschienen. Inwieweit gab es für Sie überraschende Ergebnisse?
Überraschend klar tritt in der Studie zutage, dass die weit verbreiteten Apokalypse-Szenarien der Branche offenbar nicht stimmen. Der stationäre Handel ist keineswegs dem Untergang geweiht. Die Bedingung ist allerdings, dass er bereit ist, sich zu wandeln, dass er liebgewonnene Regeln bricht und seine bisherigen Geschäftsmodelle infrage stellt. Dann hat er auch in Zeiten von Amazon und Co eine gute Perspektive.
Welche der Trends werden die Handelslandschaft besonders stark verändern?
Grundlegend muss man verstehen, dass die bisherige Marktpyramide, bestehend aus Economy-, Standard- und PremiumBereichen, in dieser Form nicht mehr existieren wird. Der Standard-Bereich schmilzt rapide und verschwindet irgendwann einmal komplett. Tragischerweise ist das jenes Segment, in dem die meisten stationären Händler bislang ihr Geschäft machen. Es bleiben also zwei große Entwicklungslinien, hin zu Economy und hin zu Premium. Auf der Economy-Seite werden die stationären Händler ihren Shop konsequent und proaktiv mit E-Commerce-Modellen verbinden müssen. Die Shops werden auf diese Weise zu Showrooms der dahinter liegenden E-Commerce-Geschäftsmodelle. Dies sichert großes Geschäft auch im Wettstreit mit Amazon & Co. Allerdings funktioniert das Geschäft in diesem Bereich nach dem Geschäftsmodell der Onlinehändler. Auf der Premium-Seite haben die Händler ebenso einen interessanten Bereich vor sich. Hier kaufen Kunden nicht nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis, sondern weil sie durch den Kauf ihre Identität zeigen wollen. In diesem Bereich sprechen viele Experten bisher von Eventshopping. Wer unserer Studie ernst nimmt, der wird verstehen, dass dies nur die halbe Wahrheit ist. In Wirklichkeit geht es nicht um Events, sondern um Identitäten. Wenn ein Shop es schafft, zum Identitätsmanager seiner Kunden zu werden, dann liegen goldene Geschäfte vor ihm, jenseits aller digitaler Verrücktheiten.
Gehen Sie davon aus, dass der stationäre Handel in Deutschland in der Lage sein wird, sich erfolgreich auf diese Entwicklungen einzustellen?
Es wird wie immer und wie überall mit den Zukunftsfragen sein: Jene Händler, die ihr Schicksal aktiv in die Hand nehmen und sich ihren Teil der Zukunft selbst gestalteten, die werden gutes Geschäft machen. Jene, die passiv abwarten und darauf hoffen, dass die gute alte Zeit zurückkommt, werden ihren „alten Gaul“ solange reiten, bis er zusammenbricht. Es ist immer wieder dasselbe, in welche Branche wir Trendforscher auch gerufen werden: In Zeiten von technologischen Veränderungen werden einige gewinnen und einige verlieren. Ich hoffe, dass die konkreten Strategieempfehlungen in unserer Studie dazu beitragen können, dass recht viele Händler ihre Zukunft in die Hand nehmen.