Ausschreibungen: Freihändig geht auch
- 20.07.2012
- Markt + Service
- red.
Ausschreibungen allgemein und ganz speziell im öffentlichen Bereich sind eine komplexe Angelegenheit – und dies für beiden Seiten: den Beschaffer auf der einen und dem Händler und potenziellen Interessenten auf der anderen. Und wohl in keinem Rechtsgebiet habe es in letzter Zeit so vielfältige und zu beachtende Änderungen gegeben wie im Vergaberecht, bestätigt Vergabeexperte und Fachreferent Siegfried Frankenstein. Grundlage für die „Öffentliche Auftragsvergabe“ ist die „Vergabe und Vertragsordnung für Leistungen“ (VOL), die am 11. Juni 2010 in Kraft getreten ist. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die wesentlichen Paragrafen der VOL/A wie die Grundsätze der Vergabe (Diskriminierungsverbot, „angemessene Preise“) sowie die Arten der Vergabe wie öffentliche Ausschreibungen, beschränkte Ausschreibungen und freihändige Vergabe.
Viele Händler bringen oftmals die öffentlichen Auftragsvergaben mit zentimeterdicken Ausschreibungspaketen, strengen Formvorschriften, Mühe, Kosten, Zeitaufwand und Ärger in Verbindung. Und verdienen könne man sowieso nichts, so die vielgehörte Meinung. „Zu Unrecht“, meint Frankenstein, der auf umfassende Praxiserfahrung bauen kann. Und wenn man sich dann aber doch an einer Ausschreibung beteiligt hat, ist die Enttäuschung groß, wieder nur der zweite Sieger zu sein. Nicht immer ist es dann aber nur der Preis, denn schon die formale Fehlerquote von Bietern in Ausschreibungsverfahren liegt nicht selten bei über 50 Prozent. Es sind nicht selten die Kleinigkeiten, die Bieter leichtfertig auf die Verliererstraße bringen. Daher sollte ein Händler zumindest über ein vergaberechtlich kompetentes Ausschreibungsmanagement verfügen. Hierfür wären beispielsweise erforderlich:
• praxisnahe Kenntnisse im Vergaberecht und der vergaberechtlichen Vorschriften
• vergaberechtlich geschulte Außendienstmitarbeiter und Ausschreibungssachbearbeiter
• genaues Lesen der Unterlagen
• genügend Zeit für die Bearbeitung der Ausschreibung
• „Vier-Augen-Prinzip“ einschließlich Vertretungsregelungen
• aktuelle erforderliche Erklärungen und Bescheinigungen Freihändige Vergabe als Chance
Laut Siegfried Frankenstein soll man bei der Auftragsvergabe der öffentlichen Hand vor allem nicht nur an die formgebundenen beschränkten und öffentlichen Ausschreibungen denken. Dies sei nur die eine Seite der Medaille. Wie eine Studie des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie aus dem Jahre 2008 belegt, ist die freihändige Vergabe ohne Teilnahmewettbewerb mit 64 Prozent das meistangewendete Verfahren in Deutschland. Hier kann und darf der Auftraggeber auf förmliche Verfahren verzichten. Und er tut dies auch, wie der hohe Prozentsatz belegt. Beachtlich sind dabei auch die geltenden Wertgrenzen in der aktuell gültigen Version, die von Bundesland zu Bundesland und Vergabestelle zu Vergabestelle beträchtlich variieren. So ist die freihändige Vergabe beispielsweise in Schleswig-Holstein bis 100.000 Euro, in Bayern bis 30.000 Euro und in Bremen und Baden-Württemberg bis 10.000 Euro möglich. Während die Grenzwerte bei der Stadt Wolfenbüttel, der Uni Oldenburg, der Leibniz-Universität Hannover oder dem Landkreis Rotenburg bei 50.000 Euro liegen, sind es beim OLG Hamburg 100.000 Euro, bei der AOK NordWest in Kiel 25.000 Euro und bei der Stadt Kassel 10.000 Euro. Das Wissen und die Nähe zu den Vergabestellen ist also gefragt – und dies vor allem auch deshalb, weil diese Vergaben nicht veröffentlicht werden. Siegfried Frankenstein: „Hierfür ist es natürlich unerlässlich, dass der interessierte Händler bei den öffentlichen Vergabestellen bekannt sein muss. Sonst geht da gar nichts.“
VOL/A-Seminar von Herma und Kaut-Bullinger
Mit dem gemeinsamen Ziel, Verantwortliche in Vergabestellen bei ihren Ausschreibungen bestmöglich zu unterstützen, haben der Hersteller Herma und das Fachhandelsunternehmen Kaut-Bullinger in Kooperation ein Seminar zur „Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen“ (VOL/A – Ausgabe 2009) durchgeführt. Unter der Leitung des Fachreferenten Siegfried Frankenstein trafen sich dazu am 13. Juni Mitarbeiter aus öffentlichen, medizinischen, sozialen, kirchlichen sowie gewerblichen Einrichtungen, um sich über Neuerungen und Hintergründe im Vergabewesen zu informieren. Und so hieß es bereits in der Einladung zu der ganztägigen Veranstaltung: „Umfassende Kenntnisse können in den Vergabestellen viel Arbeit, Mühe und Ärger ersparen.“ Entsprechend groß war das Interesse zu Themen wie Vergabearten und Wertgrenzen, Rahmenvereinbarungen, Zuschlags- und Wertungskriterien oder verschärfte Dokumentationspflichten. Damit war für die Veranstalter klar, dass solche gemeinsamen Initiativen von Industrie und Handel ihren Endkunden echten Mehrwert bringen und ein für alle sinnvolles Angebot darstellen.