„Der Zug ist nicht mehr aufzuhalten“
- 11.11.2011
- Nachhaltigkeit
- red.
Wir sprachen mit Cornelia Schambeck, Leiterin Integrierte Managementsysteme beim Münchner Fachhandelsunternehmen Kaut-Bullinger, Herma-Geschäftsführer Sven Schneller und Stefan Baumeister, Geschäftsführer von Myclimate Deutschland, einem weltweit führenden Kompensationsanbieter.
Greifen private Kunden und gewerbliche Einkäufer tatsächlich immer mehr zu „grünen“ Produkten oder verfolgen Sie mit der Entwicklung und Listung entsprechender Produkte im Moment vor allem ein Imageziel?
Schambeck: Bei reinem Privatkauf von Büromaterialien spielen Umweltaspekte leider noch nicht die Rolle, die angemessen wäre. Bei Behörden und Unternehmen sieht die Sache anders aus. Hier treffen wir durchaus auch auf Einkäufer, die von sich aus danach fragen, welche Produkte sie denn noch auf „grün“ umstellen können Heute zahlt es sich aus, dass wir seit vielen Jahren auf diesem Gebiet Expertise aufgebaut haben und den Markt sehr sorgfältig sondieren.
Schneller: „Grüne“ Produkte zu entwickeln ist zunächst ein Investment. Als Hersteller darf man nicht erwarten, dass daraus kurzfristig Umsatzsprünge resultieren. Wer glaubt, sich aus Marketinggründen kurzfristig ein grünes Mäntelchen umlegen zu können, wird früher oder später enttarnt.
Baumeister: Für Hersteller und Händler geht es vor allem darum, langfristig Glaubwürdigkeit aufzubauen. Der Zug mit „grünen“ Produkten ist längst ins Rollen gekommen und nicht mehr aufzuhalten. Wer nicht jetzt bei dem noch niedrigen Anfangstempo einsteigt, wird später immer größere Summen in die Hand nehmen müssen, um auf den dann beschleunigten Zug aufzuspringen – wenn ihm das dann überhaupt noch glaubwürdig gelingt.
Wieso ist die tatsächliche Nachfrage nach „grünen“ Produkten offenbar noch eher zurückhaltend?
Schneller: Ein bisschen muss man Verbraucher und Einkäufer in Schutz nehmen: Es gibt inzwischen selbst für Büromaterialien eine enorme Vielfalt von Umwelt- und Ökosiegeln. Für den Verbraucher ist das mitunter recht verwirrend. Daraus resultiert auch der Zweifel: „Ist das wirklich so ‚öko‘, was mir da versprochen wird?“
Schambeck: Wir beobachten gerade bei „grünen“ Produkten eine erhöhte Sensibilität. Einem umweltfreundlichen Produkt verzeiht der Anwender nichts. Sollte beim Einsatz von Recyclingpapier zufällig ein Papierstau auftreten, ist das Produkt verdammt bis in alle Ewigkeit, auch wenn es für das Problem im konkreten Fall gar nicht verantwortlich ist.
Schneller: Deshalb sind klimaneutrale Produkte ja so interessant: Als Anwender bekomme ich die gewohnte beste Markenqualität und damit höchste Produktsicherheit, kann aber gleichzeitig etwas für die Umwelt tun. Bei der Einführung der klimaneutralen Herma Premium-Etiketten haben wir viel Zuspruch erfahren. Nicht nur vom Handel, sondern auf Anwenderseite auch von großen Konzernen, die sich inzwischen für das Konzept der Klimaneutralität brennend interessieren.
Wie funktioniert das konkret mit der Klimaneutralität?
Baumeister: Als so genannter Kompensationsanbieter betrachten wir den gesamten Lebenszyklus des jeweiligen Produktes. In unsere Berechnung fließen deshalb die Emissionen aller Treibhausgase wie Kohlendioxid oder Methan ein, die bei der Herstellung der Produkte, ihrer Verpackung bis hin zu Distribution und Entsorgung anfallen. Diese Emissionen gilt es an anderer Stelle einzusparen. Damit das gelingt, unterstützen die Hersteller entsprechende Projekte, die wir wiederum nach strengen Kriterien prüfen.
Schneller: Im Falle unserer Premium-Etiketten ist das ein Solar-Projekt in Äthiopien. Dort wird solarbetriebene Beleuchtung gefördert, um damit die klimaschädlichen Kerosin-Lampen zu ersetzen. Uns gefällt daran besonders, dass es nicht nur den Umweltaspekt gibt, sondern auch eine ökonomisch-soziale Komponente. Denn den Solarstrom nutzen manche Äthiopier, um damit eine eigene Existenz aufzubauen.
Ist Klimaneutralität aus der Sicht des Handels ein sinnvoller Ansatz?
Schambeck: Absolut. Denn wir müssen in der Kommunikation Richtung Endanwender sehr plakativ und einfach sein. Dafür ist Klimaneutralität hervorragend geeignet, weil das Prinzip dahinter leicht verständlich ist. Wir selbst haben zum Beispiel im Sommer unseren Kundentag mit mehr als 500 Besuchern klimaneutral gestellt.
Baumeister: Klimaneutralität ist eben auch sehr einfach umzusetzen. Wenn Sie keine Produktion haben, reicht eine von Myclimate entwickelte Excel-Tabelle, um alle Treibhausgabe auszurechnen, die dann über die Ausgleichszahlung in ein Klimaschutzprojekt kompensiert werden können.
Schneller: Und der Klimawandel ist kein Mode- sondern ein Generationenthema. Er wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen.
Schambeck: Ich möchte allerdings betonen, dass Klimaneutralität ein wegweisendes, aber nicht das allein entscheidende Kriterium für uns ist. Bei allen Produkten fragen wir zum Beispiel nach, wo sie gefertigt werden und was die vier wichtigsten Bestandteile sind. Es gibt eine Reihe von vermeintlich „grünen“ Produkten, die mit teilweise brillanten Kampagnen in den Markt gedrückt werden. Wenn wir dann gezielt nachfragen, stellt sich heraus, dass sie in China produziert werden –solche langen Transportwege trüben die Ökobilanz dann doch wieder ganz erheblich.
Es gibt Stimmen, die bezeichnen das Thema Klimaneutralität als eine Art Ablasshandel. Wie sehen Sie das?
Baumeister: Der Begriff Ablasshandel führt in die Irre. Er impliziert, Unternehmen würden sich von etwas freikaufen. Tatsächlich werden damit jedoch die globalen Emissionen an Treibhausgasen effektiv gesenkt.
Schambeck: Was wäre die Alternative? Dass man in Sachen Klimaschutz auf einen sehr effizienten und überzeugenden Ansatz verzichtet? Das fände ich nicht akzeptabel.
Schneller: Das Schöne ist ja: Ich muss keinen Kunden „auf Teufel komm raus“ und mit viel Aufwand zu speziellen Öko-Produkten bekehren, womit ich manche Zielgruppen vermutlich ohnehin nie erreiche. Der Anwender kauft das Produkt, das er kennt. Und der Hersteller sorgt dafür, dass der CO²-Ausstoß an anderer Stelle reduziert wird – einfacher geht’s nicht.